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> 2021 Welt in Bewegung, Dr. Gabriele Lohberg
> 2016 Movimento, Dr. Christiane Häslein



2021
Welt in Bewegung
Dr. Gabriele Lohberg
Textbeitrag für den Katalog „Margit Eberhard-Wabnitz. Colori di Roma/Farben Roms“, erschienen anlässlich der gleichnamigen Ausstellung von Margit Eberhard-Wabnitz in der Städtische Galerie Kloster Karthaus, Konz 18.11.-05.12.2021

Aus den Schweizer Bergen kommend, habe ich den gepflasterten Domfreihof mit den Mauern der Bischöflichen Gebäude und der Doppelanlage von Liebfrauen und dem Dom als das „Trierer Gebirge“ empfunden. Es sind fast nur Steine und Mauern zu sehen, kaum Grün. Und was für geschichtsträchtige Mauern! Nicht ohne Grund hat die Redewendung „Wenn Wände erzählen könnten“ meist eine tragische, auf jeden Fall inhaltsreiche Bedeutung. Vielleicht ist es Margit Eberhard-Wabnitz so gut gelungen, das steinerne Gesicht Roms in Malerei zu transferieren, weil sie durch ihre Geburtsstadt „Augusta Treverorum“ diese Erfahrungen mitbringt. Doch sind ihre Gemälde vor allem Malerei und wenn sie Geschichte beinhalten, dann die individuelle, persönliche der Künstlerin, die sie uns verschlüsselt und in einer künstlerischen Sprache mitgibt.

Das Studium und berufliche Leben haben Margit Eberhard-Wabnitz in verschiedene Städte geführt, doch ist es besonders Rom, wo sie sich so inspiriert fühlt, dass es sie immer wieder dorthin zurückzieht. Es ist eine Stadt, die durch und durch von Geschichte und Geschichten geprägt ist, doch es sind vor allem die „ungeschminkten“ Seiten, von denen die Künstlerin angezogen wird. Es geht um Steine, die die Wärme der Sonne oder das klare Mondlicht eingefangen zu haben scheinen. Es ist Gegenwart und gar nicht Historie, wenn das gleißende Licht des Mittags und die glutroten Wolken des Sommerabends in den Gemälden aufzuleuchten scheinen.

Die Oberfläche einiger Bilder, die in Weiß-, Grau-, Braun- und Ocker-tönen gehalten sind, erinnern in ihrer Struktur an mehrfach überstrichenes, überarbeitetes Mauerwerk. Die übereinander aufgetragenen Zeichnungen und Farben lassen eine scheinbar zeitliche Schichtung und räumliche Tiefe entstehen. Trotz der Spachtelmasse wirken daher die Bilder offen – in die optische Tiefe und in die letzte, obere Schicht hinein. Auch wenn die Gemälde „fertig“ sind, so entsteht der befreiende Eindruck, dass dieser Zustand sehr lebendig ist und ihm nichts Finales anhaftet. Es ist eher eine Aufbruchsstimmung, ein Werden und Entstehen, wie der Beginn eines neuen, ungebrauchten Tages. In einigen der gespachtelten, gekratzten Bilder gibt es eine Art Horizont – was vermuten lässt, dass der Vergleich zu Mauern nicht überstrapaziert werden sollte. Es sind tatsächlich eher die Farben Roms, die die Malerin zu einer freien Arbeit inspirieren.

Die ausdruckstarke Farbigkeit in den Bildern von Margit Eberhard-Wabnitz wurde bei Ausstellungen zurecht stets benannt und ist beeindruckend. Es ist unmöglich, sich den intensiven und wohltuend gekonnten Kompositionen emotional zu entziehen. Aus einer leuchtenden Farbpalette erarbeitet sie abstrakte Werke, mit denen durchaus auch musikalische Kompositionen verbunden werden können. Doch liegt es nahe, auch landschaftlich-abstrakte Bilder zu assoziieren, die – in der Regel – keine bestimmte Landschaft meinen. Oder die, wie bei Blick vom Balkon (Nero I) (S. 11), einer allgemeinen Erfahrung von Meeresblicken ähneln. Ich wollte eigentlich „von Mittelmeerblicken“ schreiben, aber selbst das Bild einer Aussicht von einem bestimmten Balkon zeigt nicht nur die sichtbare Landschaft, sondern auch einen nach innen gerichteten Blick, der viele Meere gesehen hat.

So ist die Malerin durchaus auch vom Sichtbaren inspiriert. Doch Erlebnisse, Persönlichkeit, malerische Ausbildung, künstlerische Neigung und vieles andere wirken als Filter, damit ein Bild mit einem unverwechselbaren, persönlichen Ausdruck entstehen kann.

Das Foto des Ateliers der Künstlerin zeigt einige Bilder, die offensichtlich nicht in Rom, sondern in Trier entstanden sind. Dieser zeitliche und räumliche Abstand unterstützt den künstlerischen Prozess, bei dem die Künstlerin Wesentliches deutlicher hervortreten lässt und konkrete Eindrücke ins Abstrakte transferiert. Es sind Werke, 
die die leuchtenden Farben und das flächige, neutralisierende Weiß wie Antagonisten, vielleicht sogar wie Kontrahenten gegeneinander führen. Farbflächen, Linien und weiße Partien entladen sich in modern-barocker Dramatik.

Eine weitere Gruppe von Gemälden der Künstlerin zeigt einen großzügigen, farbigen Farbauftrag und horizontalen Bildaufbau. Es gibt durchaus helle Stellen mit Weiß, die die Farbkompositionen unterbrechen, doch bestimmen die leuchtenden Primärfarben und assis-tierenden Sekundärfarben den Gesamteindruck. Die horizontale Komposition wie in den Gemälden Traces II (S. 21), Primavera (S. 22) und Ostia (S. 23) lässt ohne Weiteres an Landschafts- und Wetter-phänomene denken und – im malerischen Sinn – an den Abstrakten Expressionismus im Übergang zur Farbfeldmalerei (wie z.B. im Spätwerk der Amerikanerin Helen Frankenthaler). In diesen lyrischen Gemälden von Margit Eberhard-Wabnitz sind Form und Untergrund eins. Der als Farbfeld konzipierte Bildraum scheint sich über die Grenzen der Leinwand hinaus zu erstrecken. Auch wenn die Bilder im Katalog zu Gruppen zusammengefasst sind, ist jedes Gemälde gleichzeitig so individuell, dass es durch seine Einzigartigkeit überzeugt.

In einigen Bildern in Rot- und Gelbtönen wie beispielsweise in Ohne Titel (S. 32/33) wird die Farbe autonom verwendet. Obwohl sich Margit Eberhard-Wabnitz von dem, was sie sieht und wahrnimmt anregen lässt und sich beim Betrachten der Bilder Landschaften, Stillleben und Ausblicke assoziieren lassen, so sollte die Bezeichnung „Ohne Titel“ in einem ungegenständlichen Sinn verstanden werden. Wenn man im weißen Fleck keine Wolke, im gelben Rechteck keinen Glasflacon im Sonnenlicht und in einer Horizontalen keine Landschaft sieht, so kann sich eine größere Freude an den sich entwickelnden Kompositionen einstellen. Oder es geschieht, dass man plötzlich ein warmes Blau neben einem kalten Rot erkennt und von diesem gelösten Widerspruch überrascht wird – was man bei einer gegenständ-lichen Bedeutung vielleicht übersehen und nicht erlebt hätte.

Traditionell sind kontrastierende Farben, spannungsreiche Kompositionen in einer Ebene (ohne Perspektive) und ein bewegter Pinselstrich die „Erlebnisträger“ der gegenstandsunabhängigen Malerei. Die Werke bilden einen leuchtenden Farbraum, in dem die kraftvollen Eigenschaften der Farbe miteinander wirken und sich entfalten. Es ist nicht weniger als ein selbstbewusstes Beharren auf der wertvollen Autonomie der Malerei – und der Malerin. Diese Mittel der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts hat Margit Eberhard-Wabnitz in ihre eigenen Ausdruckformen adaptiert und mit ihrer künstlerischen Intention und Persönlichkeit gesteigert.

Man könnte meinen, die Künstlerin käme im Malprozess ohne Linien aus, um einen intensiven Ausdruck zu erreichen. Das stimmt, aber auch nicht ganz. Ihre Linien definieren und bezeichnen nicht, sondern bestehen aus Pinsel-, Spachtel- und freien Farbspuren oder sind in Farbe gekratzte Striche. Für die Dynamik in den Kompositionen ist der Auftrag der Farbe wesentlich. Dabei ist es unerheblich, wie schnell er tatsächlich erfolgt: Wichtig ist die Wirkung. Verlaufen die Strukturen in konträren Gesten und vielleicht kreisförmigen Richtungen, entsteht eine begrenzte Bewegtheit innerhalb der Fläche. Diese kann autonom ein Bild bestimmen (so wie bei den hellen Kompositionen) oder ein Element von vielen sein. Die Dramatik in den Bildern wie Ohne Titel (S. 35), Wunder Punkt I (S. 36), Nero II (S. 37) entsteht durch einen heftig bewegten Farbauftrag, der identisch ist mit den Formen.

Mit der Bewegung ist Veränderung, Tempo und die Faszination für den flüchtigen Augenblick verbunden. Es ist so, als wären wir Zeugen eines Moments, in dem verschiedene Elemente und Kräfte aufeinandertreffen und zueinander finden. Der vielfältige, virtuose Farbauftrag macht die Oberflächen lebendig, indem er einen hermetischen Abschluss vermeidet. So ist es möglich, in die Gemälde „einzusteigen“ und sich auf eine Reise durch die Bilder zu begeben. Es ist befreiend und bereichernd, dieses künstlerische Angebot anzunehmen.

Krefeld, November 2021
Dr. Gabriele Lohberg

Kunsthistorikerin, Trier/Krefeld

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2016
Movimento
Dr. Christiane Häslein
Textbeitrag anlässlich der Ausstellungeröffnung von Margit Eberhard-Wabnitz in der Deutsche Richterakademie Trier am 03.11.2016.

Die Malerei von Margit Eberhard zeigt uns das Leben in seiner schier unbegrenzten Stärke und Vielfalt und das tut uns im manchmal trüben Herbst besonders gut. Wir sehen kein Zögern, sondern Gestaltung mit einer Lebendigkeit, die die Leinwände hier aushalten müssen. Sie werden bemalt, aber auch bespachtelt, entschieden mit dem Pinselstiel bekratzt, und wieder übermalt. Verschiedene Materialien wie Acrylfarbe und Ölkreiden kommen dabei zum Einsatz. Die Energie, die hier nach außen strömt, hat eine Dynamik, ein „Movimento“. Der Titel der Ausstellung, von der Malerin selbst gewählt, ist mehr als passend. Wir finden die Bewegung, die alles Lebendige umfasst, in den Bildern. Doch Bewegung ist auch ein Auslöser, kann zum Anstoß werden für eine künstlerische Erfindung. Dies trifft auf die Künstlerin in besonderem Maß zu. Denn Stillstand ist nicht ihr Thema. Sondern aktiv zu werden und damit selbst Stellung zu beziehen, Veränderungen zu wagen, Absprünge zu riskieren, zu agieren statt zu reagieren, so könnte man ihren „Modus vivendi“ beschreiben.
Die hier gezeigten Arbeiten entstanden in den letzten Jahren, darunter sind auch einige, die erst vor kurzem abgeschlossen wurden.

Die Malerei hat Margit Eberhard aber schon seit langem für sich entdeckt, und über die Zeit hat sie eine ganz eigene Handschrift entwickeln können. Verwechseln kann man ihre Arbeiten nicht! Sie verkörpern den Reiz des Malerischen an sich, faszinieren durch Einsichten in den Malvorgang, ermöglichen uns, die Entstehung nachzuvollziehen.

Beweglich ist die Malerin auch zwischen den Tendenzen des Figurativen und der Abstraktion. In einem dynamischen Prozess gehen gegenständliche Andeutungen und Gegenstandsloses eine Symbiose ein. Dieses Wechselspiel zwischen den Zonen kennzeichnet viele der gezeigten Arbeiten, ganz wie hier die Musik im Duo agiert!

Wir lesen den Bildern eine allmähliche, im Malprozess geschehende Verfremdung ab, eine Eliminierung des Gegenständlichen. Dieser konkrete Anlass ist anfangs zumindest mitgedacht, wird dann aber relativiert durch eine induktive Vorgehensweise im Weiter- und Übermalen.
Natur und Landschaft nehmen im Werk der Malerin großen Raum ein. Davon zeigt sie uns ein ganzes Panorama, verschiedene Arten und Charaktere: ungezähmte Natur wie das Meer, Landschaft, die schon von Menschen verändert sein kann, oder mit einem Stillleben die ihrer Wurzeln beraubte, reglose Pflanzenwelt, die seit dem 18. Jahrhundert als „Nature morte“ bezeichnet wird.

Die kraftvolle Malweise der Künstlerin entspricht der Kraft der Natur und führt uns diese plastisch vor Augen, auf Leinwänden, die als „Platzhirsche“ große Flächen dominieren können und keinen nahen Nachbarn dulden. Die Bewegung in der Kunst, auf den Leinwänden, hat ein Pendant im Leben der Künstlerin. Viele Reisen, aber auch Ortswechsel führten dazu, dass sie Inspiration aus verschiedenen Kulturen und Landschaften gewinnen konnte. Denn Margit Eberhard hat ihr bisheriges Leben an mehr als einem Ort gelebt, und sich dadurch mit ganz unterschiedlichen Lebensmittelpunkten vertraut gemacht. Der häufige Wechsel der Perspektive auf Alltägliches entrückt aber dieses Vertraute, distanziert es unserem Blick. Die Malerin konnte durch diese Distanzen Konturen schärfen, das Charakteristische aus dem Vertrauten lösen.

Die Distanz ist aber auch für den Betrachter wichtig, der sich jetzt den Arbeiten nähert. Aus nächster Nähe können wir den Malprozess sozusagen „live“ beobachten, die Spuren verlaufender Farbe und die „Grenzüberschreitungen“ am Keilrahmen inklusive.
Dagegen schließen sich erst aus einiger Entfernung die Formen und Farbflächen zu den dynamischen Landschaften mit ihren Bilderzählungen zusammen.

Diese Malerei lebt von dem Rang, der der Farbe an sich zugemessen wird. Seit der sogenannten „Klassischen Moderne“ um 1900 emanzipierten sich die Künstler von den akademischen Kunstregeln. Damit wurde auch die Bindung der Farben an den dargestellten Gegenstand aufgehoben. Pflanzen mussten nicht mehr grün, Pferde oder Rehe nicht mehr braun sein. Stattdessen erhielten Farben und Formen einen Eigenwert und das Kolorit wurde zum Gefühlsträger. Durch das Nebeneinander von Farbabstufungen ohne starke Kontrastwirkung entstehen Farbklänge, wie hier z.B. bei dieser eisigen Natur. Sie sind Ausdruck der Empfindung der Malerin.

Ein schönes Beispiel für die expressive Farbwirkung können Sie auch im hinteren Bereich der Ausstellung sehen. Der Ausgangspunkt ist eine Komposition aus dem 17. Jahrhundert, die den „Raub der Sabinerinnen“ zeigt, ein mythologisches Thema der Antike, beliebt vor allem im Barock. Die Malerin konzentriert sich auf eine einzige Figur. Nah herangerückt ist der Körper einer nackten, verzweifelt sich wehrenden Frau, die teilweise vom Bildrand überschnitten wird. Ihre Verfolger sind nur angedeutet. Zentrum der Bildanlage ist eine Farbfläche in leuchtenden Rotklängen, die den Schambereich der Frau verdeckt. Sie steht für die Gewalt, die der Geraubten angetan wird. Als zeichenhaftes Symbol ist die Fläche kein konkretes Abbild, sondern setzt die Phantasie des Betrachters in Gang, der bei diesem Bildthema schon bei den Alten Meistern in die Rolle des Voyeurs gedrängt wurde. Der emotionale Ausdrucksgehalt der Farbe wirkt wie ein Schrei, den die Frau ausstößt, und erweitert damit die Bildwirkung um die dem Bild eigentlich unmögliche Dimension des Akustischen.
Diese Gruppe von Landschaften ist durch eine Art „graphisches“ Malen verbunden. Denn die mit breitem Pinsel aufgetragenen Strukturen werden überlagert von Linien. Diese sind ganz unterschiedlich entstanden, einmal durch die Aktion eines dünneren Pinsels, oder durch Einkratzen in Farbschichten, aber auch innerhalb eines Farbauftrags durch kontrastierende Farbreste, die sich noch im Pinsel befanden und hell herausstrahlen. So erhalten diese Flächen etwas Zeichnerisches im Malerischen. Eine Ebene wird sichtbar vor die andere gelegt.
Auffallend sind die subtilen Farbkontraste. Verwendet wurden keine reinen Farben, sondern vielfach gebrochene Töne, die zudem oft mit Weiß abgemischt wurden. Durch den Einsatz dieser „Nicht-Farbe“ erreicht die Malerin die Zusammenbindung der in Größe, Richtung und Tonalität verschiedenen Farbflächen. In diesen Bildern konkurrieren warme mit kalten Farben. Dabei beschränkt sich die Malerin in jeder Arbeit auf eine bestimmte Palette; diese Konzentration führt zu einer Beruhigung der Kompositionen.

Die Gruppe wirkt trotz kaum angelegter Gegenständlichkeit räumlich. Eine Illusion von Tiefenraum bildet sich durch klassische Kompositionsprinzipien, nach denen z.B. Dunkles uns näher erscheint, Helles dagegen weiter entfernt. Mit den dunklen Formen in der unteren Bildhälfte und der eher helleren Auflösung nach oben hin erzeugt die Malerin aus dem „unten“ und „oben“ ein „vorne und hinten“, ein „nah und fern“. Dazu tragen auch die Formen und Richtungen der Farbflächen bei, die eine Art Basis für die Entwicklung des Bildraums nach oben schaffen. Hier ist die Aufhellung besonders deutlich, die wir in der historischen Kunst Luftperspektive nennen und die warmen Farben scheinen uns durch die Farbperspektive näher zu sein.

Diese Eislandschaft besticht außerdem durch reizvolle Kontraste zwischen dem lichten Farbauftrag des „Himmels“ und dem pastosen, großzügigen Auftrag der Farbe in anderen Bereichen der Leinwand. Diese Arbeit ist aus Komplementärkontrasten konstruiert. Rot und grün, blau und gelb stehen sich in einem harmonischen Verhältnis gegenüber, das durch die Proportionen bestimmt wird: die warmen Farben rot und gelb benötigen nur kleine Flächen, um ihre Gegenspieler grün und blau zu beherrschen. In der Bildmitte ergießt sich eine Art Wasserfall in ein spiegelndes Becken, und die gelbe Form darüber zieht uns in das Bild hinein, deutet einen Bildraum an. Die graphische Anmutung wird bei dieser Arbeit noch gesteigert. Die Farbflächen sind von linearen Elementen oder deren Bruchstücken übersäht. In der Komposition entsteht eine ornamentale Struktur, für die eigentlich nur die flächige Wirkung von Bedeutung ist. Die hohe Horizontlinie und die blaue, himmelsähnliche Fläche als oberer Abschluss lassen an einen Himmel denken, es entsteht eine Verbindung zwischen Konkretem und der durcheinandergeratenen, wilden Pflanzenwelt im Vordergrund. Diese Symbiose ist der Ausgangspunkt einer neu geschaffenen „Realität“, in der die Landschaft auf den Betrachter zuzustürzen scheint.

Der Umgang der Malerin mit den gebrochenen Landschaftselementen wirkt wie ein Spiel, aber tatsächlich ist er alles andere als zufällig. Denn diese Malerei folgt den im Entstehen getroffenen Entscheidungen, die dann zum Teil durch Übermalen von Teilen der Leinwand oder auch ganzer Arbeiten zurückgenommen werden. Die Inspiration dafür ist das Gesehene, nicht das Erdachte, das Eintauchen in den schöpferischen Prozess wird von der Intuition bestimmt.
Auch bei dieser Arbeit, Sie kennen sie als Motiv der Einladung, sieht es so spielerisch und leicht aus, wie die Farben gewählt und auf der Bildfläche verteilt wurden. Aber dass die dermaßen konstruierte Oberfläche so selbstverständlich und logisch wirkt, darin liegt die Qualität der Malerei, der sicheren Intuition der Malerin.

Dieses „Stillleben“ ist von einem Motiv Alter Meister aus dem Bereich der flämischen Kunst inspiriert, dem Blumenstillleben. Zu seinen Kompositionsprinzipien gehört auch der dunkle Hintergrund, der diese Arbeit dominiert. Vor ihm entfalten die Farben ein leuchtendes Eigenleben. Wir sehen hier eine geglückte Auseinandersetzung mit der Tradition, eine eigene, zeitaktuelle Deutung dieser historischen Vorbilder. So wie uns im Theater eine gelungene Übertragung historischer Stoffe in das Heute faszinieren kann, geht es uns auch hier. Die tote, stillstehende Natur explodiert geradezu in der dynamischen Malweise der einzelnen Formen. Die früher von den Käufern geschätzte und teuer bezahlte Präzision in der Darstellung wird absichtlich aufgegeben. Außerdem werden die Blütenformen in weiß, orange und rot vom Bildrand überschnitten, während die alten Meister auf überschneidungsfreie Präsentation der kostbaren Blüten Wert legten. Die dunkle „Leerstelle“ im unteren Bildbereich ist übrigens eine raffinierte Umsetzung: bei historischen Bildern sind die Blumengebinde radial angeordnet. An der Stelle, wo sonst ein Gefäß die Basis bildet, verzichtet die Malerin auf die Anlage von Blütenformen.

Eine ganze Serie widmet die Malerin dem Element Wasser. Zeichen für die ununterbrochene Bewegung, auch deshalb besonders schwer zu greifen und zugleich reizvoll zu erfassen. Die Arbeiten zeigen verschiedene Grade der Abstraktion bzw. der Verbindung mit Gegenständlichkeit.
Am hoch angesetzten Horizont dieses Meeres balanciert ein kleines, schutzlos den Wellen ausgesetztes Segelschiff. In der Größe stark reduziert, suggeriert es eine weite Aussicht in den Bildraum. Die warme Farbgebung bildet einen wirkungsvollen Kontrast zu den Blautönen und wird am unteren Bildrand wieder aufgenommen. Als zeichenhaftes Symbol steht das Schiffchen für die Gewalt der Natur. Die laufende Farbe im unteren Bildteil erinnert an Täuschungsbilder mit dem Scheinrealismus der Alten Meister, hier wirkt es beinahe so, als ob das auf uns zustürzende Wasser den Bildraum verlässt, um sich in den realen Raum zu ergießen. In diesem Wasserbild erfasst die Malerin mit wenigen Farben und Richtungen kennzeichnende Charakteristika des Meeres. Die grundlegenden Bedingungen erscheinen in seinem Zusammenwirken von waagrecht und senkrecht, von glatter Ausdehnung und aufragender Bedrohung durch die Gewalt der Wellen, die keinen Ausblick mehr lassen. Zum Eindruck eines „Explodierenden Gartens“ tragen hier die Neonfarben bei. In der Tradition der Landschaftsmalerei, seit ihrem Aufstieg im 19. Jahrhundert war der Begriff „malerisch“ eine Qualitätsbezeichnung. Eines der Kriterien des Malerischen war und ist die Vielfalt, die „varietà“, die Bilder reizvoll macht und uns als Betrachter länger hinsehen lässt. Dies löst die Malerin hier in besonderem Maß ein, mit einer Vielfalt der Stricharten und Konturen, der Dichte und Höhung der Farben, Abstraktionsgraden und Farbzusammenwirkungen. Einen eigenen Akzent bildet eine Reihe von „Blüten“ im Vordergrund, im Grunde sind es abstrahierende Formen, die in hellen Farben aufgesetzt werden. Sie stellen jede für sich eine kleine Kunstform, ein Stillleben im Garten dar. An ihnen ist die spielerische Dynamik der pinselführenden Hand bzw. des ganzen Körpers ablesbar und der malerische Reiz ergibt sich auch aus maltechnisch bedingten Zufällen.

Eine abstrahierende Malweise erhöht die Anziehungskraft der Darstellungen. Denn was vollkommen vor uns ausgebreitet und erklärt wird, fordert uns als Betrachter nicht. Dies sage ich in Anlehnung an einen Essay des Wiener Schriftstellers Thomas Stangl, der formulierte: „Wer ins Innerste ausgeleuchtet ist, ist kein Mensch mehr“. Der Essay ist abgedruckt im Band „Freiheit und Langeweile“, in dem Stangl über die Entstehung von Literatur nachdenkt. Genau diese Langeweile erspart uns die Malerin Margit Eberhard mit ihrer persönlichen Handschrift, die eben nicht alles ausleuchtet, sondern den Raum der malerischen Möglichkeiten und damit auch den unserer Reflektionen offen hält.
Ich wünsche der Ausstellung viel Erfolg! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Trier, 03.11.2016
Dr. Christiane Häslein
Kunsthistorikerin

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